Perrondächer Hauptbahnhof Zürich

Der Zürcher Hauptbahnhof lag einst vor der Stadt, heute liegt er mitten im Zentrum, und sein Wachstum der letzten fünfzig Jahre bedrängt den Stadtkörper beträchtlich. Der Querschnitt zeigt im Untergrund eine wuchernde Welt von danteskem Ausmass, und über dem Boden scheint sich die Erde zuweilen unter den Blähungen aufzuwölben. An anderen Orten streiten Tausende von Fahrgästen mit den Elektrozügen der Gepäckverteilung und ebenfalls Tausende Radfahrer um wenige Meter übrig gebliebenen Gehsteig. 

Während Jahrzehnten waren die vier zusätzlichen seitlichen Gleise provisorisch überdacht gewesen. Als wir den Auftrag erhielten, diese neu zu überdecken und eine Lösung für die nächtliche Schliessung zu finden, war es die räumliche Bedrängung, welche uns zum Entwurf anregte. Anstatt den Bahnhofsraum zu fassen und zu schliessen, öffneten wir ihn seitlich mit zwei riesigen Dächern zur Stadt hin. Wir legten gewissermassen den Raum der Perrons und jenen der Gehsteige zusammen und schufen am Rand des Bahnhofs eine «osmotische» Zone zwischen den Zügen und der Strasse, zwischen der Bahnhofshalle und dem Stadtraum.
Die Vorstellung, dass in Zürich die Züge nicht mehr in einen abgeschlossenen Bahnhof einfahren würden, sondern direkt in den Stadtraum an das Trottoir wie ein Tram, stellten wir der alten Tradition des Bahnhofs als Zugang zur Stadt entgegen. Wir denken, dass diese hybride, hektische Vermischung eine moderne, unsentimentale Vorstellung von öffentlichem Verkehr ist, und wir finden sie heute – dank dem Gleismanagement der Bundesbahnen – als reale Bilder wieder, wenn abends um halb sechs der wunderschöne Talgo Pendular auf dem letzten Gleis in Zürich wartet, nur ein paar Meter vom blauen Tram entfernt.

Seine konkrete Gestalt hat dieses Dach allerdings durch kompositorische Überlegungen gefunden. Da der Bahnhof heute aus architektonischen Ablagerungen aus vielen Dekaden besteht, kaum mehr gefasst von einer formalen Figur, welche die dauernden Basteleien des Wachstums bündeln würde, hat die plastische und räumliche Präsenz des Daches auch die Bedeutung einer Klammer. Es überspielt alles, was dahinterliegt und beschränkt die Figur auf zwei wesentliche Elemente: das alte Bahnhofsgebäude Jakob Friedrich Wanners und die Ausdehnung der Perronhallen ins Gleisfeld und die Stadt hinaus.

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ORT: ZÜRICH
WETTBEWERB: 1995
PROJEKT: 1995–1997
BAUHERRSCHAFT: Schweizerische Bundesbahnen SBB, Zürich
MEILI, PETER ARCHITEKTEN: Marcel Meili, Markus Peter
IN KOOPERATION MIT: Knakiewicz & Fickert, Zürich
INGENIEURE: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich

©MARGHERITA SPILUTTINI (PROJEKTSEITE); HEINRICH HELFENSTEIN ( WERKVERZEICHNIS)

Publikationen/Auszeichnungen
ZÜRICH HB: ENDE EINER EWIGEN BAUSTELLE IN SICHT? | Werk, Bauen + Wohnen, Nr. 11/1995 ERWEITERUNG DER PERRONDÄCHER IM ZÜRCHER HAUPTBAHNHOF | Werk, Bauen + Wohnen, Nr. 9/1997 DAS ÖFFENTLICHE DACH | archithese, Nr. 6/1997
VON DER KUNST ANZUKOMMEN ODER WIR BAUEN UNS EIN TOR ZUR WELT | Das Magazin, Nr. 31/1997
DER ZUG STEHT AUF DEM TROTTOIR | Hochparterre, Nr. 10/1997
GROSSE GESTE OHNE DIE STADT | Bauwelt, Nr. 4/1998
NEW ROOF ADDITION ZÜRICH MAIN RAILWAY STATION | Prototypo, Nr. 5/2001
SCHWEIZERGESCHICHTEN - ARCHITEKTURGESCHICHTEN | Ausstellungskatalog zur Ausstellung im Staatlichen Architekturmuseum Moskau, 2002
EUROPEAN FORUM - EUROPE, VISIBLE AND INVISIBLE | Dialogue, Nr.11/2003
GROSSER BAHNHOF | in: Zürich wird gebaut Architekturführer Zürich 1990-2005; Verlag Hochparterre, 2004
DACH VERLEIHT FLÜGEL | in: Ein Führer zur zeitgenössischen Architektur 1990-2010; Scheidegger & Spiess, 2010